Werden wir wieder erwachsen!
(Red.) Schlimmer geht immer, sagt ein bekanntes Sprichwort. Deshalb aus aktuellem Anlass nochmals ein kurzer Kommentar von Stefan Nold. Man kann nur hoffen, dass Russland nach dem brandgefährlichen Entscheid Joe Bidens auch tatsächlich eine Antwort an die USA hat und nicht primär an die geografisch näherliegende EU. (cm)
In jeder Beziehung, ob im privaten, geschäftlichen oder politischen Bereich, kann man immer selbst entscheiden, wie man auf das Verhalten des anderen reagiert: „Zwischen dem Anreiz und der Antwort ist Raum. In diesem Raum liegt unsere Freiheit und die Macht, unsere Antwort zu wählen. In unserer Antwort liegt unsere Reifung und unser Glück“ sagt der Coach Stephen Covey. [1] Viel zu häufig vergisst man das und lässt sich provozieren, auch in der Politik. Brian Nichols, Staatssekretär im US-Außenministerium, hat heute in einem Interview bekräftigt, dass US-Präsident Biden der Ukraine die Erlaubnis gegeben hat, mit Raketen größerer Reichweite das russische Hinterland anzugreifen, nach seinen Angaben um sich „besser verteidigen zu können und Russland an den Verhandlungstisch zu bringen“ [2]. Die Meldung der New York Times [3] vom Wochenende ist damit von offizieller Seite bestätigt. Es ist jedoch eher zu vermuten, dass auf diese Weise die Akteure hinter den Kulissen sicherstellen möchten, dass der Krieg in der Ukraine auch im nächsten Jahr unter Präsident Trump fortgesetzt wird und die Gewinne der US-Rüstungsfirmen weiter sprudeln. Aus dem gleichen Grund sollen so die Kriegstreiber in Europa ermuntert werden, ähnliche Waffen (Taurus, Storm Shadow) in die Ukraine zu liefern.
Wladimir Putin lässt sich nicht von Emotionen oder Rachegefühlen leiten, sondern überlegt mit seinen Beratern die bestmögliche Antwort [4], so wie das im Geschäftsleben üblich ist. Auf den Beschuss mit deutschen Taurus-Raketen wird Russland wie bereits ausgeführt [5] vermutlich symmetrisch, also militärisch reagieren. Aber was wäre aus russischer Sicht die beste Antwort auf die US-Raketen? Eine Option: Russland erklärt den USA den Krieg, greift aber nicht militärisch an. Der Sinn dabei: Die meisten geschäftlichen Verträge erhalten einen Passus, der die Erfüllung bei Naturkatastrophen oder Kriegen ausschließt. Das heißt: Nach einer Kriegserklärung könnten alle russischen Unternehmen ihre Lieferungen in die USA mit einem Schlag einstellen ohne vertragsbrüchig zu werden und ohne dass Russland spezielle Sanktionen verhängen müsste. Die USA brauchen für ihre Kernkraftwerke russisches Uran und auch sonst so einiges, was knapp und teuer ist, besonders Palladium, aber auch Titan und Platin. [6] Seit zwei Monaten prüft Russland, welche Rohstoffe sanktioniert werden könnten, ohne sich selbst ins Bein zu schießen. [7] Eine Kriegserklärung Russlands an die USA verbunden mit einem sofortigen Lieferstopp von Uran, Palladium, Titan, Platin und Nickel wird auf der hypernervösen Wall Street ein Erdbeben auslösen und den seit Jahrzehnten auf tönernen Füßen stehenden Dollar ins Wanken bringen. Das richtet hundertmal mehr Schaden an als ein paar Dutzend Raketen und würde die gesamte Gesellschaft in den USA gegen ihren noch amtierenden Präsidenten aufbringen. Russland hat dort keine Aktien mehr, aber der Rest der Welt, besonders China und die Golfstaaten, wären nicht erfreut und würden massiv Druck auf die USA ausüben, bis diese nachgeben. Es wäre ein diplomatischer Supergau, das Ende der US-Dominanz nach dem Lehrbuch für Dummies: How to make America small again.
Die Militaristen haben mittlerweile unser Denken so im Griff, dass man im Westen nur noch in der Lage ist, in ihren Kategorien zu denken. Dadurch verlieren wir nach und nach alles, was wir in Jahrzehnten vielleicht nicht immer ehrlich, aber stets friedlich aufgebaut haben. Der Rest der Welt hat die Nase voll von diesem ganzen Gezänk und will Geschäfte zu beiderseitigem Vorteil machen. Hören wir auf, Krieg zu spielen, und werden wieder erwachsen!
Siehe Stefan Nolds Kommentar von vor zwei Tagen auf Globalbridge.ch.
Quellen:
[1] Covey, Stephen R. (1997) The 7 Habits of Highly Effective Families, Habit 1: Be Proactive, S. 27. Zitat im Original: Between stimulus and response, there is a space. In that space lies our freedom and power to choose our response. In our response lies our growth and our happiness.“ Simon & Schuster: London.
[2] Nichols, Brian (19.11.2024) Uso de mísseis de longo alcance pela Ucrânia pode forçar Rússia a negociar paz, defende líder diplomático dos EUA para o Ocidente. Gespräch mit Thays Guimarães. Dieser stellte die Frage: No domingo, os EUA autorizaram o uso de mísseis de longo alcance de fabricação americana pela Ucrânia. Isso não poderia escalar ainda mais a guerra? Nichols antwortete: …As armas que o presidente Biden autorizou a Ucrânia a usar darão a ela maior capacidade de se defender e, com sorte, permitirão que a Federação Russa entenda que o uso da força para tomar o território ucraniano não será bem-sucedido e talvez ela começará a negociar a paz ou, melhor ainda, simplesmente irá se retirar do território ucraniano. São eles que têm o controle total sobre a duração ou não desse conflito.“ (Übersetzung: Frage: Am Sonntag haben die USA der Ukraine den Einsatz von Langstreckenraketen aus amerikanischer Produktion gestattet. Könnte das den Konflikt nicht noch weiter eskalieren lassen?“ Antwort Nichols: … Die Waffen, die Präsident Biden der Ukraine erlaubt hat einzusetzen werden ihr die Fähigkeit geben, sich besser zu verteidigen und mit etwas Glück wird die Russische Föderation verstehen, dass der Einsatz von Gewalt bei der Einnahme von ukrainischem Territorium nicht von Erfolg gekrönt sein wird und sie vielleicht beginnen wird zu verhandeln oder, noch besser, sich aus ukrainischem Territorium zurückzuziehen. Nur sie haben die komplette Kontrolle über die Dauer dieses Konflikts) https://oglobo.globo.com/mundo/g20-no-brasil/noticia/2024/11/19/uso-de-misseis-de-longo-alcance-pela-ucrania-pode-forcar-russia-a-negociar-paz-defende-lider-diplomatico-dos-eua-para-o-ocidente.ghtml Editora O Globo: Rio de Janeiro.
[3] Entous, Adam, Eric Schmitt and Julian Barnes (17.11.2024) Biden Allows Ukraine to Strike Russia With Long-Range U.S. Missiles. New York Times: New York. https://www.nytimes.com/2024/11/17/us/politics/biden-ukraine-russia-atacms-missiles.html
[4] Putin, Wladimir (5.7.2019) Interview mit Lionel Barber Henry Foy. https://www.ft.com/video/d62ed062-0d6a-4818-86ff-4b8120125583 ab Minute 35: “ Any decision making process is accompanied by risk. Before taking one’s chances, one has to meticulously assess everything“ Über Syrien: I thought carefully about this well in advance, and I considered all the circumstances and all the pros and cons… I discussed this matter with my aides and ministers …and other senior officials. Financial Times: London.
[5] Nold, Stefan (16.11.2025) Wou issn is Hirn? Overton-Magazin. Buchkomplizen GmbH: Köln. https://overton-magazin.de/top-story/wou-issn-is-hirn/ sowie bei Globalbridge: Commwork AG: Zug. https://globalbridge.ch/wou-issn-is-hirn-wo-ist-denn-sein-gehirn-ein-kommentar-zur-politik-des-deutschen-kriegsministers-boris-pistorius/
[6] Hache, Emmanuel (25.5.2022) Russian metals: another headache for manufacturers. Polytechnique insights. Institut Polytechnique de Paris. https://www.polytechnique-insights.com/en/braincamps/geopolitics/industry-autonomy-scarcity-the-ripples-of-war-in-ukraine/russian-metals-another-headache-for-manufacturers/[7] Sarapina, Nadeschda (19.9.2024) Luftfahrtindustrie: Titan aus Russland kann der Westen kaum ersetzen. https://dert.site/wirtschaft/219593-harte-waehrung-russland-findet-neues/