100.000 Rubel in Moskau, 2500 Euro in Berlin: Wer hat es besser?
(Red.) Der Versuch der westlichen Länder, Russland mit den Wirtschaftssanktionen zu zerstören oder mindestens massiv zu schädigen, ruft natürlich auch zur Frage, wie die Russen und Russinnen überhaupt leben? Geht es ihnen gut, mäßig oder sogar schlecht? Wie ist das Verhältnis zwischen Arm und Reich? Ist das Wohnen in der Großstadt Moskau für Normalverdienende überhaupt noch zahlbar? Oder, wie etwa in Zürich oder in München, nur noch für die Oberschicht möglich? Wir haben unseren Mann in Moskau dazu befragt. (cm)
Im August dieses Jahres ist Russland, gemessen am kaufkraftbereinigten Bruttoinlandsprodukt, die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt geworden. Russland hat Deutschland überholt und ist jetzt die führende Volkswirtschaft in Europa. Es muss jedoch gesagt werden, dass es sich hierbei um das Gesamt-BIP des Landes handelt, nicht um das BIP pro Kopf. Wenn man bedenkt, dass Russland mit 143 Millionen Einwohnern die größte Bevölkerung Europas hat, verglichen mit 83 Millionen in Deutschland, ist es in gewisser Weise normal, dass die russische Wirtschaft – wir wiederholen es, bei Kaufkraftparität – größer ist. Trotzdem fiel diese Nachricht überraschend auf, denn normalerweise, wenn wir in der westlichen Presse Nachrichten über die russische Wirtschaft lesen, sind es meistens Prophezeiungen, die den bevorstehenden Zusammenbruch des russischen wirtschaftlichen Organismus ankündigen.
Doch wie sieht das Leben in Russland heute in der Realität aus? Wie steht Moskau im Vergleich zu anderen europäischen Städten wirtschaftlich da? In Europa und Amerika wird Russland oft als ein Land dargestellt, das durch eine enorme Vermögensungleichheit gekennzeichnet ist. Ein Land, das von Oligarchen dominiert wird, die so reich sind wie die alten Zaren, aber wo die große Mehrheit der Bevölkerung jedoch Schwierigkeiten hat, über die Runden zu kommen.
In Russland gibt es definitiv Ungleichheit. Doch in der russischen Hauptstadt genießen die meisten Menschen einen Lebensstil, den viele im Rest des Landes (und es ist ein riesiges Land) aus wirtschaftlicher Sicht für beneidenswert halten. Offiziell leben 13 Millionen Menschen in Moskau, fast jeder zehnte Russe. Unter diesen Bedingungen wird die Konzentration des Reichtums in der Hauptstadt zu einer logischen Konsequenz.
Heutzutage ist die Ausdünnung der Mittelschicht ein globales Phänomen und Russland ist von diesem Trend nicht ausgenommen. Die sowjetische Gesellschaft war sehr egalitär, das frühkapitalistische Russland der 1990er Jahre überhaupt nicht. Der Oligarch Beresowski, den manche als die graue Eminenz von Jelzins Russland bezeichneten, prahlte damit, dass sechs Oligarchen 50% der russischen Wirtschaft kontrollierten.
Aber heute sind das ferne Erinnerungen. Laut Daten aus dem Jahr 2020 hat Russland einen Gini-Koeffizienten, einen Wirtschaftsindikator, der zur Quantifizierung der wirtschaftlichen Ungleichheit eines Landes dient, von 36,0%. Damit liegt Russland in der Rangliste der Länder der Welt mehr oder weniger in der Mitte. Dies bedeutet, dass Russland eine etwas weniger egalitäre Einkommensverteilung aufweist als die meisten europäischen Länder (Österreich Gini-Koeffizient = 29,8%, Deutschland = 31,7%, Schweiz = 33,1%), aber besser als die Vereinigten Staaten (Gini-Koeffizient = 39,8) abschneidet. Kurz gesagt, der Mythos der grenzenlosen wirtschaftlichen Ungleichheit in Russland scheint der Vergangenheit anzugehören.
Aktuellen Daten zufolge beträgt das durchschnittliche Nominalgehalt in Moskau 141.900 Rubel pro Monat, zum aktuellen Wechselkurs etwa 1.419 Euro, brutto. Die Einkommensteuer in Russland beträgt 13%. Aber wie viel muss man verdienen, um in Moskau einigermaßen normal zu leben? Wir haben einige Moskauer nach ihrer Meinung gefragt.
„Es hängt von den Bedürfnissen einer Person ab“, antwortet eine Dame neben dem Einkaufszentrum „Druschba“, das heißt „Freundschaft“. „Meiner Meinung nach müssen es mindestens 200.000 Rubel im Monat sein.“
„Wenn jemand so viel Miete zahlt wie ich, also 45.000 Rubel – 450 Euro“, antwortet ein junger Mann, der von Beruf Ingenieur ist, „sollten zwischen 120.000 und 160.000 Rubel reichen.“ Miete zahlen ohnehin nicht viele. Viele haben eine Eigentumswohnung, ein Erbe des sowjetischen Projekts. Nur 11 % der Russenmieten eine Wohnung.
„Das Durchschnittsgehalt von rund 100.000 Rubel netto dürfte ausreichen“, sagt ein anderer junger Mann. Im Allgemeinen schwanken die Antworten zwischen 100.000 und 150.000 Rubel pro Monat. Also zwischen 1000 und 1500 Euro.
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Aber wie man sich leicht vorstellen kann, haben Durchschnittswerte nur eine relative Bedeutung. Deshalb haben wir uns entschieden, die Gehälter in Moskau in einigen Berufen sowie die Preise für gängige Konsumgüter mit denen in anderen europäischen Städten zu vergleichen. Alle Werte sind in Euro angegeben. Gehälter sind Bruttogehälter. Es handelt sich dabei um sehr allgemeine und daher ziemlich grobe Werte. Die Gehälter hängen in Russland wie in anderen Ländern vom Unternehmen, dem Erfahrungsniveau und vielen anderen Faktoren ab. Die Daten für Russland stammen von hh.ru, einem Jobsucheportal, für Deutschland von Gehalt.de (Stepstone). Für Italien, Polen und Tschechien wurden unterschiedliche Quellen verwendet.
Also, ein Arzt oder ein Ingenieur verdient in Moskau deutlich weniger als er (oder sie) in Deutschland verdienen würde. Gehälter sind jedoch nur noch die eine Seite der Medaille. Wie viel kostet das Leben in Moskau im Vergleich zu anderen europäischen Städten? Da es nicht möglich ist, den Durchschnittspreis für ein Kilo Brot in allen Geschäften in Moskau oder anderen Städten zu berechnen, handelt es sich um Näherungswerte. Es wurden vergleichbare Artikel ausgewählt, zum Beispiel 10 Eier von guter Qualität, der Preis für ein Baguette pro Kilo und so weiter. Die Preise sind in Euro angegeben. Wir beginnen mit dem Big Mac von McDonald’s, da der berühmte Big Mac-Index des britischen Magazins The Economist zum Vergleich der Preise in verschiedenen Ländern von vielen beliebt ist. Für Russland haben wir in diesem Fall das Äquivalent zum Big Mac der russischen Fastfood-Kette Vkusko i Tochka genommen, die McDonald’s ersetzte, nachdem der US-Konzern letztes Jahr Russland verlassen hatte.
Wie wir aus den Preisangaben oben ersehen können, ist das Leben in Moskau, obwohl es sich um eine wahre Weltmetropole handelt, günstiger als in anderen europäischen Großstädten. Fast alles kostet weniger, teilweise deutlich weniger als in Westeuropa, sogar weniger als in mitteleuropäischen Städten wie Warschau und Prag. Dies gilt natürlich unter Berücksichtigung des heutigen Wechselkurses, also etwa 105 Rubel für einen Euro und 4,5 Rubel für eine Tschechische Krone . Es war nicht immer so. Aber wie in vielen anderen Städten der Welt sind auch in Moskau die größten Ausgaben die Miete oder der Kauf einer Immobilie. Aber dank der günstigen Preise kann man sich in Moskau auch mit bescheideneren Gehältern einen recht komfortablen Lebensstil leisten.