Wenn Annalena Baerbock die «Messlatte neu definiert» …
Auch die «Neue Zürcher Zeitung» NZZ, die nicht zuletzt auch in Deutschland massives Marketing betreibt, glaubt daran, dass die Welt friedlicher wird, wenn zuoberst mehr Frauen das Sagen haben. Und sie versucht, diese Frauen in ein positives Licht zu bringen.
Die NZZ am 1. Oktober 2022 wörtlich: «Es war nur ein kleiner Wortwechsel beim Mittagessen, Smalltalk, von dem Annalena Baerbock Journalisten später amüsiert erzählte. Und doch kündet der Dialog von einer Zeitenwende, subtiler als Putins Überfall auf die Ukraine wenig später. Die frisch vereidigte Aussenministerin war im Januar 2022 zu ihrem Antrittsbesuch nach Moskau gereist. Sergei Lawrow, ihr russischer Amtskollege, lud sie zum Mittagessen ein.
Wie üblich wurde bald Wodka serviert, Baerbock rührte das Glas nicht an. Lawrow sagte, den müsse sie schon trinken. Sie konterte, man habe ihr schon bei früheren Besuchen in Russland gesagt, dass aus ihr nie eine Spitzenpolitikerin werde, wenn sie nicht härter und trinkfester würde, aber es habe ja nun auch ohne Alkohol geklappt. «Wenn mittags Wodka trinken ein Härtetest ist . . . Ich habe zwei Kinder geboren.»
Lawrow hat vermutlich gar nicht genau verstanden, was sie damit sagen wollte. Er gehört noch zu der Generation Väter, die bei der Geburt ihrer Kinder nicht dabei waren. Sehr wohl verstanden haben wird er, dass seine Herausforderung abgeperlt war. Die dreissig Jahre jüngere Frau am Tisch gegenüber spielte sein Spiel nicht mit. Mehr noch: Sie erklärte es für ungültig, lächerlich. Trinkfestigkeit als Ausdruck von Härte, Belastbarkeit, Stärke? Soll das ein Witz sein? Geradezu beiläufig definierte sie die Messlatte neu.»
Ist die Verweigerung, andere Kulturen – zum Beispiel Signale der Gastfreundschaft – zu akzeptieren, wirklich eine heroische Leistung?
Wer ins Gespräch kommen will, muss andere Kulturen akzeptieren
Ich, Christian Müller, gehöre zu den Journalisten, die viel gereist sind, nicht als Tourist, sondern als Rechercheur und Berichterstatter – nämlich gut und gerne in 50 Ländern, von New Zealand im Südosten der Weltkarte bis Alaska im Nordwesten, vom Kap der Guten Hoffnung im Süden bis zum norwegischen Nordkap im Norden, und zum Beispiel auch in China, auch im Innern dieses Landes, mehr als nur einmal. Das eine Mal waren wir, zwei Journalisten und eine Journalistin, von der Regierung eingeladen, und überall, wo wir hinkamen, wurden wir auch von den lokalen Behörden offiziell empfangen und meist auch zum Essen eingeladen. Und jedes Mal stand eine volle Karaffe mit farblosem Chrysanthemen-Schnaps auf dem Tisch – und um ihn zu trinken, standen die lokalen Gastgeber immer extra auf, um auf gegenseitig gute Beziehungen anzustossen, uns gegenseitig das Beste zu wünschen – und leer waren die Gläser.
Um ehrlich zu sein: Für meinen Schweizer Gaumen war der Genuss, diesen Chrysanthemen-Schnaps zu trinken, etwa so, wie wenn ich ein Frauen-Parfüm hätte trinken müssen, so wohlriechend war er. Ein Vergnügen sieht anders aus. Mein Kollege hatte gerade noch vor der Abreise eine Magenblutung und hatte deshalb Schnaps-Verbot, was die stets mitreisende und uns wohlgesinnte Dolmetscherin sehr aufmerksam zu erklären versuchte. Die mitreisende Journalistin aus Europa sagte jedoch immer schroff, sowas trinke sie nicht – und ich konnte die Enttäuschung der einladenden Chinesen an deren Gesichtern ablesen. Man kann sich vorstellen, was passiert wäre, wenn auch ich den Chrysanthemen-Schnaps, der zu unserer Ehre aufgetischt wurde, verweigert hätte! Wer mit Menschen aus einer anderen Kultur ins Gespräch kommen will, muss deren Kultur – vor allem auch deren gastfreundschaftliche Signale – zuerst einmal akzeptieren und Achtung und wenn möglich sogar Freude zeigen, persönliche Präferenzen hin oder her.
Oder ein anderes Beispiel. Im Süden Brasiliens, im Bundesstaat Santa Catarina, hatte ich Gelegenheit, ein Notlager von Bauern zu besuchen, deren Dorf wegen eines neuen Staudamms und des dahinter entstandenen Stausees vom Wasser überschwemmt und verschluckt wurde. Mein Ziel war, zu erfahren, wie die Behörden und die Kraftwerkbetreiber denn mit diesen Menschen umgegangen sind und was sie ihnen versprochen – und offensichtlich nicht eingehalten – haben. So sass ich am Abend in einer Runde mit den Männern des Campo d’Eré und trank Tee, und alle tranken aus dem gleichen Gefäss aus getrockneter Kürbisschale. Jeder nahm ein oder zwei Schlücke und gab dann das Trinkgefäss weiter. Auch mir wurde es in der Runde weitergegeben und auch ich musste – Hygiene hin oder her – aus dem gleichen Gefäss trinken. Hätten mir diese «Trabalhadores sem terra» ihre Schicksale anvertraut, wenn ich mich geweigert hätte, mit ihnen – und eben aus der gleichen Trinkschale – Tee zu trinken? Nein, mit Sicherheit nicht. Nicht zuletzt Symbole der Gastfreundschaft müssen nicht nur akzeptiert, sondern sichtbar geschätzt werden! Auch den angebotenen Wodka in Russland, den ich von mehreren Russland-Reisen her natürlich auch kenne.
Aber klar, Annalena Baerbock, Deutschlands Aussenministerin und für die Beziehungen ihres Landes mit Russland zuständig, verweigert nicht nur ein in Russland traditionelles Getränk des Gastgebers, sie ist auch noch stolz auf diese Verweigerung – und verweist als Vergleich mit den Wodka trinkenden Russen auf ihre Fähigkeit, Kinder auf die Welt zu bringen – eine Fähigkeit notabene, die sie mit ein paar Milliarden anderen Frauen teilt, weil nicht studiert und nicht aufwendig gelernt, sondern von der Natur geschenkt bekommen.
Dass es intolerante, fremdkulturverweigernde Leute gibt, ist eine Binsenwahrheit. Dass aber eine deutsche Frau – eine Aussenministerin! – sich selber haushoch über einem russischen Mann – einem Chefdiplomaten – positioniert und diese ihre Geschichte mit Stolz und selbstverliebtem Lächeln weitererzählt, zeigt, welch mediokre Figuren heute in internationalen Belangen am Ruder sind. Kein Verständnis für andere Kulturen: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen!
Ich darf leider hier nicht schreiben, was ich von Annalena Baerbock halte. Es wäre justiziabel.
Aber die NZZ weiss ein solches Verhalten zu belobigen: In ihren Augen hat Annalena Baerbock die «Messlatte neu definiert».
Wir hatten wahrlich schon bessere Zeiten.